Der Kultur Kiosk probierte vom 04.11.- 18.11.1990 in Münster Kunst und Kultur als Dienstleistung aus. Im 24 Stunden – Programm wurden Ausstellungen, Installationen, Videos, Konzerte, Lesungen und Kleinkunstabende angeboten. Von 10 Uhr bis 1 Uhr war der Kultur Kiosk täglich geöffnet. Alle zwei Stunden wechselte das Programm, Ausstellungen und Installationen waren für jeweils einen Tag aufgebaut. Nachts lag die Zeichnung des Tages als Edition aus.
Der Kultur Kiosk war in einem Hinterhaus im Kreuzviertel von Münster untergebracht. Der Raum stand den etwa dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre Arbeit zur Verfügung. Neben freien Künstlerinnen und Künstlern waren auch Studierende der Fachhochschule Münster, der Kunstakademie Münster und der Musikhochschule Detmold beteiligt.
Ich danke allen, die mitgemacht haben, insbesondere Kerstin Riegel und Bertold Hengefeld, die das Projekt auch zu ihrem gemacht haben. Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamts Münster und der Kreuzvierteler Geschäftsleute.
Eröffnungsrede von Pavel Liszka, Kunsthistoriker, Köln
„Das Projekt Kultur Kiosk, das mit dem heutigen Programm beginnt, ist als eine Materialskulptur gedacht. So nennen die Veranstalter das reichhaltige Angebot an künstlerischen Aktivitäten, die aus verschiedenen, nach der gängigen Vorstellung nicht zusammengehörenden Kulturbereichen stammen: Zum Wort sollen Beiträge der Kleinkunst, der Musik, des Films und Videos kommen, es soll Theater gespielt, Tanz veranstaltet und es sollen Werke der bildenden Kunst ausgestellt werden. Schon diese Aufzählung macht deutlich, daß hier etwas zusammengestellt, zusammenmontiert wird, das oft säuberlich voneinander getrennt präsentiert zu werden pflegt – nämlich die sogenannte hohe Kunst in Museen und Galerien und die angeblich niedere Kunst in Werkstätten, Ateliers oder gar auf der Straße
Begegnet uns also hier im Kultur Kiosk etwas Originelles, etwas ganz Neues? Ja und nein. Ja, weil eine solche Mischung, eine COLLAGE aus verschiedenen Kunstsparten vor dem Hintergrund der die tradierte Kunstgattungstrennung weitgehend respektierenden Postmoderne neu und originell erscheint; nein, weil wir sehr wohl derartige übergreifende Artefakte in der Geschichte der modernen Kunst finden können. Und fast immer waren solche Veranstaltungen, solche Collagen in Raum und Zeit, mit dem Anspruch der Kritik, ja der Provokation, oder zumindest mit dem Fragestellen verbunden.
Lasst uns kurz die Geschichte solcher Aktionen Revue passieren. Die ersten MATERIALSKULPTUREN, die den Ansatz der Collage, von Picasso und Braque um 1912 entwickelt, aus der Zweidimensionalität und der Statik eines Bildes in die neuen Dimensionen des Raumes und der Zeit übertrugen, waren die dadaistischen Veranstaltungen im Cabaret Voltaire in Zürich während des ersten Weltkrieges. Hugo Ball, Emmy Hennings und Tristan Tzara – um nur einige zu nennen – verfolgten die Idee eines Gesamtkunstwerks und organisierten im Jahr 1917 Veranstaltungen, in denen Vorträge, Lesungen, Tänze und Musik neben und mit Werken der bildenden Kunst gleichgestellt präsentiert wurden. Aber nicht nur diese edle Idee einer Versöhnung der verschiedenen Kunstgattungen prägte diese Workshops: Die Vorträge zeigten oft keinen logischen Faden, die Gedichte keinen erkennbaren Sinn, die Musik wurde als Geräusch mittels von Küchengeschirr erzeugt. Diese Veranstaltungen ähnelten oft einer Karrikatur der üblichen Ausstellungen und Konzerte oder Theatervorführungen. Sie waren als ein provokativer Protest gemeint. Die radikal-provokative Ablehnung der, in der Kunst und Kultur damals üblichen Konventionen, ging hier Hand in Hand mit der Ablehnung der bürgerlichen Zivilisation schlechthin. Einer Zivilisation, die sich eben auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkrieges als eine barbarische entlarvte. Ablehnen, provozieren, Infragestellen, fragen – das waren die Akzente, die hier die Dadaisten setzten. Als das wichtigste gestalterische Mittel verwendeten sie das Prinzip Collage – da heißt, sie montierten das Nichtzusammengehörige zusammen.
Die sechziger Jahre entdeckten diese dadaistische Attitude wieder, nachdem die abstrakte Kunst der Spätmoderne der Nachkriegszeit immer braver und langweiliger geworden war. John Cage, Allan Kaprow in den USA, Wolf Vostell, Nam June Paik in der Bundesrepublik, Yves Klein in Paris und ein wenig später Hermann Nitsch und Otto Mühl in Wien waren die Protagonisten der Happening – und Fluxusveranstaltungen – in Wien nannte man sie Materialaktionen -, die wieder Leben auf die Kulturbühne brachten. Sicherlich waren diese Raum- und Zeit-Collagen der sechziger Jahre weniger provokativ und vielmehr ästhtisch aufgefasst, als sie vom arrivierten Kunstpublikun und von der Polizei verstanden wurden. Es gab Proteste, Prozesse und hochnäsige Beschimpfungen. Ja, in Aachen floß 1964 gar das Blut – aus der Nase von Joseph Beuys, nach einer Ohrfeige seitens eines aufgebrachten konservativen Kulturhüters. Die Kunst fand oft auf der Straße statt, sie griff in die Gestaltung des öffentlichen Raums, wie z.B. in der Siebentausend-Eichen-Aktion von Beuys 1982 im Rahmen der Dokumenta 7. Nein, Kunst war es nicht, die das Leben tatsächlich veränderte, vielmehr waren es die Studentenbewegung und die Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen, die den Motor der Liberalisierung der westlichen Demokratie darstellten. Aber die Kunst war dabei und steuerte mit ihren Aktionen Fragen und Fragezeichen bei.
So gesehen ist der Traditionszusammenhang, in dem sich dieser KULTUR KIOSK befindet, kein unbedeutsamer. Und ich würde sagen, daß es an der Zeit ist, die affirmative Langeweile der musealen Postmoderne ein wenig aufzubrechen und ein wenig frische Luft in den Kunstbetrieb kommen zu lassen. Lasst uns wieder Fragen stellen, auch wenn wir keine fertigen Antworten parat haben. Lasst uns wieder Zweifel äußern, ja auch provozieren, damit die, für uns selbstverständliche Demokratie nicht zu einer heiligen, aber toten Kuh wird. Das Geldverdienen und das Bravsein droht heute auch in der Kunst das schöpferische und humane Leben zu ersticken. Die Kunst hat die Möglichkeit hier ein wenig entgegenzuwirken. Lasst uns wieder action in den Tempel der Kunst hineintragen – aus Lust am Zweifeln, aus Neugier nach neuen Möglichkeiten und aus Spaß an der Kritik – und vorallem: aus Abscheu vor der Langeweile. In diesem Sinne soll der Kultur Kiosk lange leben!
„Das Projekt Kultur Kiosk, das mit dem heutigen Programm beginnt, ist als eine Materialskulptur gedacht. So nennen die Veranstalter das reichhaltige Angebot an künstlerischen Aktivitäten, die aus verschiedenen, nach der gängigen Vorstellung nicht zusammengehörenden Kulturbereichen stammen: Zum Wort sollen Beiträge der Kleinkunst, der Musik, des Films und Videos kommen, es soll Theater gespielt, Tanz veranstaltet und es sollen Werke der bildenden Kunst ausgestellt werden. Schon diese Aufzählung macht deutlich, daß hier etwas zusammengestellt, zusammenmontiert wird, das oft säuberlich voneinander getrennt präsentiert zu werden pflegt – nämlich die sogenannte hohe Kunst in Museen und Galerien und die angeblich niedere Kunst in Werkstätten, Ateliers oder gar auf der Straße.
Begegnet uns also hier im Kultur Kiosk etwas Originelles, etwas ganz Neues? Ja und nein. Ja, weil eine solche Mischung, eine COLLAGE aus verschiedenen Kunstsparten vor dem Hintergrund der die tradierte Kunstgattungstrennung weitgehend respektierenden Postmoderne neu und originell erscheint; nein, weil wir sehr wohl derartige übergreifende Artefakte in der Geschichte der modernen Kunst finden können. Und fast immer waren solche Veranstaltungen, solche Collagen in Raum und Zeit, mit dem Anspruch der Kritik, ja der Provokation, oder zumindest mit dem Fragestellen verbunden.
Lasst uns kurz die Geschichte solcher Aktionen Revue passieren. Die ersten MATERIALSKULPTUREN, die den Ansatz der Collage, von Picasso und Braque um 1912 entwickelt, aus der Zweidimensionalität und der Statik eines Bildes in die neuen Dimensionen des Raumes und der Zeit übertrugen, waren die dadaistischen Veranstaltungen im Cabaret Voltaire in Zürich während des ersten Weltkrieges. Hugo Ball, Emmy Hennings und Tristan Tzara – um nur einige zu nennen – verfolgten die Idee eines Gesamtkunstwerks und organisierten im Jahr 1917 Veranstaltungen, in denen Vorträge, Lesungen, Tänze und Musik neben und mit Werken der bildenden Kunst gleichgestellt präsentiert wurden. Aber nicht nur diese edle Idee einer Versöhnung der verschiedenen Kunstgattungen prägte diese Workshops: Die Vorträge zeigten oft keinen logischen Faden, die Gedichte keinen erkennbaren Sinn, die Musik wurde als Geräusch mittels von Küchengeschirr erzeugt. Diese Veranstaltungen ähnelten oft einer Karrikatur der üblichen Ausstellungen und Konzerte oder Theatervorführungen. Sie waren als ein provokativer Protest gemeint. Die radikal-provokative Ablehnung der, in der Kunst und Kultur damals üblichen Konventionen, ging hier Hand in Hand mit der Ablehnung der bürgerlichen Zivilisation schlechthin. Einer Zivilisation, die sich eben auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkrieges als eine barbarische entlarvte. Ablehnen, provozieren, Infragestellen, fragen – das waren die Akzente, die hier die Dadaisten setzten. Als das wichtigste gestalterische Mittel verwendeten sie das Prinzip Collage – da heißt, sie montierten das Nichtzusammengehörige zusammen.
Die sechziger Jahre entdeckten diese dadaistische Attitude wieder, nachdem die abstrakte Kunst der Spätmoderne der Nachkriegszeit immer braver und langweiliger geworden war. John Cage, Allan Kaprow in den USA, Wolf Vostell, Nam June Paik in der Bundesrepublik, Yves Klein in Paris und ein wenig später Hermann Nitsch und Otto Mühl in Wien waren die Protagonisten der Happening – und Fluxusveranstaltungen – in Wien nannte man sie Materialaktionen -, die wieder Leben auf die Kulturbühne brachten. Sicherlich waren diese Raum- und Zeit-Collagen der sechziger Jahre weniger provokativ und vielmehr ästhtisch aufgefasst, als sie vom arrivierten Kunstpublikun und von der Polizei verstanden wurden. Es gab Proteste, Prozesse und hochnäsige Beschimpfungen. Ja, in Aachen floß 1964 gar das Blut – aus der Nase von Joseph Beuys, nach einer Ohrfeige seitens eines aufgebrachten konservativen Kulturhüters. Die Kunst fand oft auf der Straße statt, sie griff in die Gestaltung des öffentlichen Raums, wie z.B. in der Siebentausend-Eichen-Aktion von Beuys 1982 im Rahmen der Dokumenta 7. Nein, Kunst war es nicht, die das Leben tatsächlich veränderte, vielmehr waren es die Studentenbewegung und die Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen, die den Motor der Liberalisierung der westlichen Demokratie darstellten. Aber die Kunst war dabei und steuerte mit ihren Aktionen Fragen und Fragezeichen bei.
So gesehen ist der Traditionszusammenhang, in dem sich dieser KULTUR KIOSK befindet, kein unbedeutsamer. Und ich würde sagen, daß es an der Zeit ist, die affirmative Langeweile der musealen Postmoderne ein wenig aufzubrechen und ein wenig frische Luft in den Kunstbetrieb kommen zu lassen. Lasst uns wieder Fragen stellen, auch wenn wir keine fertigen Antworten parat haben. Lasst uns wieder Zweifel äußern, ja auch provozieren, damit die, für uns selbstverständliche Demokratie nicht zu einer heiligen, aber toten Kuh wird. Das Geldverdienen und das Bravsein droht heute auch in der Kunst das schöpferische und humane Leben zu ersticken. Die Kunst hat die Möglichkeit hier ein wenig entgegenzuwirken. Lasst uns wieder action in den Tempel der Kunst hineintragen – aus Lust am Zweifeln, aus Neugier nach neuen Möglichkeiten und aus Spaß an der Kritik – und vorallem: aus Abscheu vor der Langeweile. In diesem Sinne soll der Kultur Kiosk lange leben!“